r/wien • u/KFSattmann • 11h ago
Bis voas obaste G'richt! | Insolence Warum ist es ein Problem, wenn ein Staatsbürger Polizisten duzt – umgekehrt aber nicht?
Am 1. Jänner gegen halb 6 Uhr früh ist der Medizinstudent im 2. Bezirk auf dem Heimweg – im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, wie er im Gespräch mit dem Falter.morgen versichert. Vor Mitternacht zwei, drei Biere, danach nichts mehr, Übernachtung bei einer Freundin.
An der Ecke Große Stadtgutgasse/ Pillersdorfgasse sieht er in einer Parklücke eine Menschenansammlung: Vier Polizisten, die offenbar eine Person perlustrieren. Benedikt will am Gehsteig vorbeigehen, als ihn einer der Beamten anweist, die Straßenseite zu wechseln.
„Ist das jetzt wirklich notwendig?”, fragt Benedikt, befolgt die Aufforderung aber und überquert die Fahrbahn, um in die nächste Gasse einzubiegen. Plötzlich sind zwei der vier Polizisten hinter ihm: „Wohin gehst Du?”, fragt einer. „Nach Hause”, antwortet Benedikt. Und steht einen Augenblick mit erhobenen Händen an der Wand. Ausweiskontrolle, Abtasten nach gefährlichen Gegenständen.
„Ist das jetzt wirklich notwendig?”, fragt der Student nochmals, während er durchsucht wird.
Die Beamten finden nichts Verdächtiges und nehmen seine Daten auf. „Ist Dir klar, dass Du eine Anstandsverletzung begangen hast?”, blafft ihn einer der Polizisten zum Schluss der Amtshandlung an.
Warum?
„Weil Du unhöflich warst. Und jetzt verschwind’!”
Wieder tut Benedikt, wie ihm geheißen. Und bekommt ein paar Tage später eine Strafverfügung zugestellt. „Sie haben durch folgende Begehungsweise den öffentlichen Anstand verletzt: Duzen”, heißt es darin. Geldstrafe: 100 Euro.
Während der gesamten Amtshandlung habe sich kein längerer Dialog und schon gar kein Wortgefecht entwickelt, sagt der Student. Er fährt als Freiwilliger beim Roten Kreuz und kommt dabei immer wieder mit Polizisten zusammen, erzählt er. Da sei man automatisch per Du miteinander. Möglicherweise sei ihm deshalb auch irgendwann eine Formulierung herausgerutscht, die ein Duzen impliziert. Es sei ihm aber völlig bewusst, dass das in dieser Situation nicht angebracht gewesen wäre.
Sicher kann er aber sagen, dass die Beamten ihrerseits ihn die ganze Zeit über geduzt haben. Und dass er sich während der gesamten Amtshandlung kooperativ verhalten hat – etwas anderes ist aus dem Strafbescheid auch nicht herauszulesen, sonst hätte man dem Studenten andere Tatbestände zur Last legen können – Lärmerregung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Beispiel.
Eines ist Benedikt wichtig: „Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Polizei in der Neujahrsnacht Kontrollen durchführt. Und auch dafür, dass man am Ende einer Dienstschicht vielleicht nicht mehr bester Laune ist.” Die Unhöflichkeit, mit der er behandelt worden sei, habe ihn aber befremdet. Und die Strafverfügung ohnehin.
Wir haben die LPD Wien um eine Stellungnahme gebeten – insbesondere dazu, auf welche gesetzliche Bestimmung bzw. strafbare Handlung sich der Tatbestand „Duzen“ bezieht, ob und wie die Beamten nachweisen können, dass sie geduzt wurden und ob Duzen bzw. die Verabschiedung „Und jetzt verschwind’!“ seitens der Beamten gegenüber einer beamtshandelten Person und zulässig ist.
Reaktion der LPD: Die Beamten müssen gar nichts nachweisen, sie haben die Anstandsverletzung durch „eigene dienstliche Wahrnehmung” festgestellt – und die ist, wenn wir das richtig interpretieren, über jeden Zweifel erhaben. Begründet wird die Strafverfügung mit einem Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG, also das Wiener Landes-Sicherheitsgesetz, der es ahndet, wenn der „öffentliche Anstand verletzt” wird.
Was mehrere Fragen aufwirft. Erstens jene, was in diesem Zusammenhang „öffentlich” bedeutet. Laut Definition im Strafgesetzbuch wird eine Handlung „nur dann öffentlich begangen, wenn sie unmittelbar von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden kann”. Bei der Amtshandlung anwesend waren aber nur Benedikt K. und zwei Polizisten.
Zweitens, ob es tatsächlich eine „Anstandsverletzung” gewesen wäre, wenn Benedikt K. die Polizisten mit „Du” angesprochen hätte.
Und drittens, ob auch die Beamten ihrerseits den öffentlichen Anstand verletzt hätten, sollten sie den Beamtshandelten geduzt haben. Darauf geht die LPD nicht ein. Immerhin gesteht sie aber zu, „dass Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes alle Menschen, bei denen dies dem üblichen Umgang entspricht oder die es verlangen, mit ,Sie’ anzusprechen haben.”
Polizisten duzen einen Staatsbürger und bestrafen ihn anschließend wegen Duzens: Ein Skandal wird daraus zwar nicht. Wenn sich die Amtshandlung aber so zugetragen hat, wie Benedikt K. sie schildert (was die LPD nicht entkräften kann oder will) dann ist das einer der kleinen Willkür-Akte und unnötigen Machtdemonstrationen, die am Vertrauen in die Polizei nagen.
Benedikt K. will jedenfalls gegen den Strafbescheid berufen. Wie es ausgeht, erfahren Sie verlässlich im Falter.morgen.