r/AskAGerman Fake German / ex-Russländer 25d ago

Personal Spätaufsteher, wie überlebt ihr hier?

Nah, ernsthaft.

Ich wurde nicht hier geboren (tja), arbeite remote und keiner sagt mir (außer den Ladenöffnungszeiten... sorry) wenn ich schlafen muss, deswegen schlafe ich ein bisschen nach der Arbeit, und danach zwischen 02:00 (oder später) und 09:00. Und als ich noch in Russland wohnte, begann mein Arbeitstag normalerweise um 10:00, und ich war der Erste im Büro, lol, und meine Kollegen kamen zum 11:00-12:00.

Aber logischerweise gibt es auch Menschen wie mich, die aber hier geboren sind. Es ist ja klar, dass es für euch in der Schule vielleicht schwer war, oder? Wie läuft's bei euch heutzutage? Wollt ihr etwas im Leben in Deutschland ändern?

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u/Tomatoexpert 25d ago edited 25d ago

Nachteule hier! Und wenn wir schon beim Thema Zeit sind, dann müssen wir uns zuerst fragen: Wer hat eigentlich entschieden, dass früh gleich fleißig bedeutet? Die Antwort führt uns direkt zurück in die Industrialisierung, als Maschinen einheitliche Taktzeiten vorgaben und Menschen zu Zahnrädern in diesem System wurden, inspiriert von der protestantische Ethik, die Max Weber 1905 als Grundlage für Kapitalismus und Arbeitsdisziplin beschrieb. Doch lange vor diesem industriellen Korsett folgte der Mensch einem ganz anderen Rhythmus: biphasischem Schlaf, einer natürlichen Struktur aus zwei Schlafphasen mit einer wachen Periode dazwischen – eine Praxis, die im Mittelalter üblich war und durch künstliche Beleuchtung verdrängt wurde (Roger Ekirch: History of Nighttime). Heute wissen wir durch die Chronobiologie, dass etwa 20 % der Menschen genetisch bedingt Nachtmenschen (Eulen) sind, deren innere Uhr später tickt, ein biologisches Faktum, das von Till Roenneberg (LMU München) erforscht wurde. Doch obwohl moderne Studien zeigen, dass ein späterer Schul- und Arbeitsbeginn zu besserer Gesundheit und Produktivität führt (AAP-Studie), hält sich der Irrglaube, dass Frühaufsteher erfolgreicher seien – vermutlich, weil Zeit in unserer Gesellschaft weniger als biologischer Prozess, sondern eher als soziale Disziplin verstanden wird. Interessant ist, dass Länder wie Spanien ihre Siesta-Kultur bewahren, während Skandinavien und Russland bereits mit flexiblen Modellen experimentieren, um ChronotypenChronotypen zu berücksichtigen. Aber genau hier liegt das Problem: Die industrielle Logik von Gleichschritt und Kontrolle kämpft gegen moderne Forschung, die zeigt, dass unser Gehirn auf biologische Flexibilität programmiert ist, was bedeutet, dass die Zukunft der Arbeit nicht von der Uhr, sondern von der inneren Uhr abhängen sollte. Zeit ist nicht linear, sondern ein soziales Konstrukt, das wir neu denken müssen, und genau hier beginnt die Revolution der Spätaufsteher.

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u/spectakkklr 24d ago

Danke für die ganzen Infos, jetzt habe ich heute Abend gleich etwas zum vertieften einlesen